Geistige Reife erkennt man nicht an der Art der Gefühle, die man hat, sondern am Abstand zu ihnen.

Das tückische an Störgefühlen ist, dass man sie trotz Ihrer Unbeständigkeit für wirklich hält und dementsprechend handelt.

 Aus „Vom Reichtum des Geistes“ von Lama Ole Nydahl

Diese Konzeption des Stückes ist frei angelehnt an buddhistische Vorstellungen vom Leben. Danach ist das Leben nicht nur unbeständig, sondern auch durch Leid geprägt. Dieses Leid wird verursacht durch Begierde und Forderungen. Nur wenn wir aufhören Ansprüche zu stellen, können wir frei und glücklich werden. Im Wesentlichen haben diese Forderungen einen Kern: Habsucht.

Wir werden unwissend in diese Welt hinein geboren, trotzdem erfahren wir sehr früh Momente von absoluter Klarheit und Glück, in denen wir mit uns und unserer Umwelt im Reinen sind. Die meiste Zeit jedoch wird unser Leben geprägt von störenden Gefühlen, die uns hindern, befreit und unvoreingenommen auf die gegenwärtigen Ereignisse unserer Existenz zu blicken. Es sind diese Störgefühle, die uns blockieren und hindern im „Hier und Jetzt“ zu leben und handeln. Das wiederum führt uns dazu falsche Entscheidungen zu treffen, die erneut zu weiteren störenden Gefühlen führen. Ein Kreislauf, den zu durchbrechen äußerst schwer ist. Störende Gefühle und Ängste gibt es unzählige, aber alle ergeben sich aus Kombinationen von ein paar großen – Stolz, „Anhaftungen“ d.h. Sich klammern, Eifersucht, Unwissenheit bzw. fehlendes Bewusstsein und die daraus entstehenden Ignoranz und Intoleranz, Begierde und Geiz. Zu guter Letzt, die Wut, die sich bis zur Rage steigern kann. Diese negative Gefühle sind alle miteinander verbunden und verursachen weitere Schwierigkeiten wie Sucht, Wollust und Gewalt.

Die Befreiung von diesen Gefühlen bringt kurze Momente der Aufklärung und Aufhellung – Freiheit! In solchen Augenblicken der Erkenntnis befinden wir uns in einem Zustand, der eigentlich natürlich sein sollte und mit dem Begriff Akzeptanz beschrieben werden kann. Er entspricht dem Zustand, in den wir hineingeboren wurden, gesegnet von Anfang an. Es ist das Wissen um die Vergänglichkeit und Belanglosigkeit dieser Störgefühle, das uns hilft, sie zu überwinden und mit Gleichmut und einem klaren Geist auf unsere Situation als Menschen zu reagieren. Schaffen wir das, wird unsere Umwelt in ähnlicher Weise auf uns wirken. Selbst wenn wir das verinnerlichen und zu unserer Lebenseinstellung machen, bleibt eine ständige Konfrontation mit diesen negativen Impulsen. Es wird ein langer, nie endender Kampf um Klarheit und Befreiung.

In dem Stück werden sechs „Störgefühle“ oder Zustände tänzerisch dargestellt. Dazu kommt der positive Zustand der Klarheit bzw. Erleuchtung und daraus entstehende das Gefühl der Freiheit. Es ist aber eben diese Freiheit, die immer wieder zerstört wird. Um uns errichten wir unsichtbare Mauern und verstricken und verschließen uns selbst in unsere negativen Gefühle. Aus diesem Grund werden wir unfähig, uns gegenüber Anderen zu öffnen, bzw. den Raum zwischen uns zu überbrücken, letztlich zu lieben. Um uns herum bleibt der Raum geschlossen. Jeder bewegt sich im eigenen Raum und im eigenen Tempo. Die Choreographie ist so aufgebaut, dass die verschiedenen „Störgefühle“ das ganze Stück durchziehen, in verschiedenen Ausprägungen.

Matthias Kass (choreographer & director)

Skinsurfers (composers)

Ralf Mohr (photographer)

Clément Bugnon (video)

Unknowing was created as part of „Think Big – Artist Residence Program 2013“, a joint initiative by the Ballet of the State Opera Hannover and the dance festival TANZtheater INTERNATIONAL.

Funded by: Stiftung Niedersachsen, Stiftung Kulturregion Hannover and State Capital Hannover / Kulturbüro.